Das Projekt
Während der Räumung meines Elternhauses in
Göttingen bin ich auf 49 Tagebücher und Notizen
meines Stiefvaters Prof. Dr. Hubert Wilbert gestoßen. Ich habe sie in einem stark verschmutzten und
maroden Zustand ungeschützt in einer offenen Kiste
im hintersten Winkel des Dachbodens gefunden, mit
vielen toten und fast toten Insekten darin. Ironie des
Schicksals: Hubert war Professor der Entomologie.
Von da an berichtet er über jeden Bombenangriff
auf Münster (mit exakten Zeitangaben!), wann zu
Bett gegangen, wann Fliegeralarm, wann wieder
runter in den Keller, welche Bomben fallen, wie die
aussehen, wie die sich anhören, welchen Krater welche Bombe macht, wer wann wo genau getroffen
wurde und vieles mehr. Zeichnungen, wie die Bomben aussehen, was er konkret gesehen hat und was
das OKW (Oberkommando der Wehrmacht) später im Rundfunk dazu berichtet. Hubert erstellt Tabellen
und Listen mit akademischem Anspruch und erlaubt dem Leser ein tiefes Eintauchen in seine Zeit.
Seine individuellen Eindrücke einer in höchstem Maße schwierigen Zeit spiegeln die zum damaligen
Zeitpunkt vorherrschenden Ansichten eines besiegten, am Boden zerstörten Volkes. Wut, Zorn, Angst,
Verzweiflung und Trauer können nachfolgende Generationen wohl nur erahnen. Ich kann ich berichten, dass Hubert aus der späteren zeitlichen Distanz
manche Ereignisse seines Lebens anders bewertete
und neu einzuordnen wusste. Diese Tagebücher eines Jungen, der zu Hause blieb und den Pflichtdienst
im RAD (Reichsarbeitsdienst) versah, sind daher etwas Außergewöhnliches. Es ist mein Wunsch, dass
diese Aufzeichnungen für Schüler, Studenten und alle Interessierten frei zugänglich sind.
Zu ganz besonderem Dank verpflichtet bin ich Herrn Ernst-Peter Winter vom Heimat- und Geschichtsverein Münster e.V. (Münster in Hessen): Er hat die Texte nicht nur in die aktuelle deutsche Schrift transkribiert, sondern auch viele Originalschauplätze auf historische und geografische Richtigkeit hin überprüft.
Ohne seine Kenntnisse der alten Kurrentschrift
und seinen unermüdlichen Fleiß verbunden mit akribischer Genauigkeit wäre die nachfolgende Darstellung der Tagebücher wohl nicht möglich gewesen.
Ernst-Peter Winter, Jahrgang 1953, betreibt seit über
40 Jahren Familienforschung (Genealogie) und leitet
seit über 10 Jahren einen monatlich stattfindenden
Lesekreis „Alte Schriften”.